Teil 7

Religion und Abschiebungsproblematik

Ich werfe nochmals kurz einen Blick nach Afghanistan: Die Unruhen in Kabul, die durch einen von Angehörigen der US-Truppen ausgelösten Verkehrsunfall am 29. Mai hervorgerufen wurden, haben deutlich gemacht, dass das politische und gesellschaftliche Lage in der Islamischen Republik Afghanistan bei weitem noch nicht stabilisiert ist, trotz der Anwesenheit internationaler, einschließlich deutscher Soldaten. Die im Januar 2004 in Kraft getretene neue afghanische Verfassung liefert zwar eine international anerkannte Grundlage für den Staat, der zu mehr als 99 Prozent von Muslimen bewohnt ist. Daher berücksichtigt die Verfassung des Landes mir die fast flächendeckend muslimisch geprägte Gesellschaft Afghanistans, wenn die §§ 2 und 3 die „heilige Religion des Islam„ als Staatsreligion nennen und davon sprechen, dass andere Religionen nur soweit zulässig sind, als sie nicht den afghanischen Gesetzen widersprechen, die dem Islam entsprechen müssen. Diese beiden Paragraphen innerhalb der Verfassung erlauben für nicht-muslimische Gemeinschaften nur einen äußerst engen Spielraum. Dass Angehörige religiöser Minderheiten daher seit Inkrafttreten der Verfassung einem gewissen Druck von Seiten muslimischer Behörden ausgesetzt sind, lässt sich beobachten. Diese Situation in Afghanistan hat aber – darauf sei abschließend eingegangen – auch Konsequenzen für afghanische Hindus in Deutschland.

Am 24 Juni 2005 wurde von der Innenministerkonferenz der Bundesrepublik der Beschluss gefasst, Afghanen aus Deutschland wieder in ihre Heimat zurückzuführen, was seither auch geschieht. Während dabei für Muslime eine Rückführung in die Islamische Republik Afghanistan zumindest in religiöser Hinsicht unproblematisch ist, stellt sich die Situation bezüglich der ethno-religiösen Gruppe der afghanischen Hindus und Sikhs anders da. Den Angehörigen dieser Religionsgemeinschaften wird nämlich in ihrer Heimat in religiöser Hinsicht keine Freiheit gewährt wird, die westlichen Standards von Religionsfreiheit auch nur annähernd entsprechen würde. Aus diesem Grund versuchen z.B. auch afghanische Hindus, die in den 1990er Jahren nach Indien geflüchtet sind, in zunehmender Zahl, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Indien oder sogar die indische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Blick man auf die konkrete Situation in Deutschland, so sprechen besonders zwei wichtige Gründe dagegen, dass afghanische Hindus und Sikhs aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben werden:

(a) Die nach Deutschland gekommenen Hindus und Sikhs haben inzwischen hier ihre Familien gegründet, wobei die Kinder dieser afghanischen Familien einerseits Deutsch als Sprache ihres Gastlandes, sowie meist Hindi als Muttersprache beherrschen. Hindi ist aber in der Verfassung Afghanistans nicht unter jenen Sprachen genannt, die in Afghanistan verwendet werden, was mit der Geringschätzung bzw. Nicht-Berücksichtigung der Hindu- und Sikh-Minderheit – als ethno-religiöser eigenständiger Gruppe – zusammenhängt. Eine Rückführung solcher Personen, die der zentralen Sprachen Afghanistans (Pashto oder Dari) nicht mächtig sind, würde bedeuten, diese jungen afghanischen Hindus und Sikhs in ein Getto und in die Isolierung bzw. Marginalisierung zu schicken.

(b) Genauso darf nicht unerwähnt bleiben, dass die traditionellen geschlossenen Lebensräume der Hindus und Sikhs in Afghanistan (besonders im Westen von Kabul) durch die mehr als zwei Jahrzehnte andauernden (Bürger-)Kriegswirren nicht mehr funktionstüchtig sind. Ein geschlossener Lebensraum, der eine wirtschaftliche, soziale, und religiöse Infrastruktur bietet, ist aber für das Überleben der ethno-religiösen Minderheit der Hindus und Sikhs unbedingt notwendig. Da diese Infrastruktur nicht vorhanden ist, würde ein aus Deutschland nach Afghanistan zurückgeschickter Hindu oder Sikh ohne wirtschaftliche Existenzmöglichkeit sein.

Die Abschiebung von nicht-muslimischen Afghanen, die im November des Vorjahres in Hamburg begonnen hat, würde aus beiden Gründen diesen Menschen kaum Chancen bieten, in der islamischen Gesellschaft Afghanistans Fuß zu fassen, ohne die eigene ethno-religiöse Identität aufzugeben. Denn eine – zwangsweise – Rückkehr nach Afghanistan führt derzeit nämlich nicht nur zu Diskriminierung aus religiösen und gesellschaftlichen Gründen, sondern stößt Rückkehrende auch in ein wirtschaftliches Vakuum, das kein geordnetes Überleben ermöglicht. Daher sollte für Hindus und Sikhs – solange sich die Situation in Afghanistan nicht ändert und ihnen volle Rechte zur unbehinderten Religionsausübung (ohne Auflagen aus islamischer Rechtstradition und theologischer Begründung) zuerkannt werden – in Deutschland eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt werden. Dass dies derzeit nicht der Fall ist, ist vor wenigen Tagen erneut deutlich geworden. Denn am 21. Mai wurde von der Ausländerbehörde in Coesfeld (NRW) eine afghanische Hindu-Familie mit drei minderjährigen Kindern von Frankfurter Flughafen aus nach Kabul abgeschoben. Solche Aktionen bereiten verständlicherweise den in Deutschland lebenden afghanischen Hindus und Sikhs große Sorgen, da sie als Angehörige dieser Gemeinschaft in eine – aufgrund ihrer Religion – unsichere Zukunft blicken müssen.


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