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Teil 10

Jede Familie hatte einmalig ein Zelt, ein paar Töpfe und ungefähr 100 kg Getreide erhalten, sowie ein wenig Holz und Bauschutt. Damit – und mit dem 12 Dollar „Begrüßungsgeld„ von der UNHCR – sollten sie sich nach der Vorstellung des Ministers ein neues Leben aufbauen. Weitere Hilfen dürfen sie nicht erwarten. Frauen und Kinder waren in dem Lager nicht zu sehen; angeblich wanderten sie täglich die zwei bis drei Stunden nach Mazar-e Sharif, um dort zu betteln; möglicherweise auch, um sich zu prostituieren. Es gab weder Wasserstellen, elektrischen Strom, Heizmöglichkeiten oder sonstige Infrastruktur. Die Männer waren damit beschäftigt, mit bloßen Händen Lehmziegel herzustellen und daraus primitive Hütten zu errichten. Ein Familienvater erklärte mir, durch die Kälte und den Hunger seien bereits zwei seiner Kinder gestorben; eines sei zwei, das andere vier Jahre alt gewesen. Nach den übrigen seiner sechs Kinder befragt, berichtete er, sie seien ebenfalls zum Betteln in die Stadt gegangen. Er hoffe, dass sie ein wenig Essen, das sie aus dem Abfall geklaubt hätten, und vielleicht ein paar Afghani mitbrächten. Alle Familienmitglieder seien krank, er rechne nicht damit, dass sie noch lange leben würden. Nicht einmal Süßwasser gebe es, er müsse zum Trinken Salzwasser aus einigen Kilometern Entfernung heranschleppen. Die gleichen Verhältnisse traf ich in einem anderen Lager einige Kilometer südlichen von Mazar-e Sharif an.

Für abgeschobene Asylbewerber bleibt also praktisch nur die Option, sich in der Hauptstadt Kabul niederzulassen. Dies gestehen auch die Gerichte zu, weisen aber immer wieder darauf hin, dass sich die Lebensverhältnisse dort, u.a. durch die Anwesenheit der internationalen Hilfsorganisationen, verbessert hätten. Die Wohnsituation der Flüchtlinge ist katastrophal.

Als Beispiel soll ein Zeltlager für Flüchtlinge an der Tamani-Straße Richtung Kheirkhane im Norden von Kabul dienen. Auf dem Gehweg vor den Läden der Bevölkerung sind siebzig, achtzig zerlumpte Zelte aufgestellt, die größtenteils aus alten Säcken und Plastikplanen zusammengestückelt sind. Sie stehen buchstäblich in der Gosse, durch die das Abwasser abfließt. In diesen so genannten Unterkünften hausen etwa tausend Menschen auf dem nackten Boden. Acht- bis zehnköpfige Familien leben mit nur ein paar zerrissenen Decken als Einrichtung auf acht oder zehn Quadratmetern. Die vielen Kinder sind schutzlos den Dezembertemperaturen ausgeliefert, die in der Nacht auf bis minus zehn Grad fallen. Die Kinder sind abgemagert, unterernährt und krank. Ein solches Schicksal würde auch Flüchtlinge erwarten, die aus Europa nach Afghanistan abgeschoben werden.

Ein weiteres Flüchtlingslager liegt an der Hauptstraße zwischen dem Kabuler Flughafen und der Stadt, das so genannte „Camp-e Wabika„. Dort sind Flüchtlinge aus Pakistan und Iran untergebracht. Drei so genannte Betonhäuser (quasi Fabrikgebäude ohne Fenster, die nach außen durch Decken und Plastikplanen abgeschirmt werden; eigentlich Ruinen aus der Najibullah-Zeit, die abgetragen werden müssten) mit je drei Etagen beherbergen die Flüchtlinge. Eines der Häuser ist innen provisorisch ausgebaut, jede Etage ist in vierzehn abgeschlossene Räume aufgeteilt, die jeweils etwa zehn Quadratmeter groß sind. In jedem dieser Zimmer lebt eine Familie mit zehn bis zwölf Personen auf dem nackten Betonboden, ohne Wasser, ohne Elektrizität, ohne Heiz- oder Kochmöglichkeiten, ohne Fenster und Türen. Auch hier wird es nachts bis zu zehn Grad unter Null kalt. In den anderen beiden Häusern haben die Flüchtlinge die je drei Etagen, die wie Lagerhallen aussehen, mit Decken und Plastikplanen abgeteilt. Jede Etage umfasst nicht mehr als 100 Quadratmetern. Auf jeder dieser Etagen leben 100 bis 150 Personen ohne jeden weiteren Komfort. Auf einer dieser Etagen befand sich in einer Wand ein Loch, hinter dem sich ein kleiner Raum von zwei Mal zwei Metern Größe befand. Es war so dunkel, dass ich kaum wagte, ihn zu betreten. Nach einigen Minuten hatten meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt, und ich konnte drei alte Menschen, darunter eine Frau, erkennen, die auf diesen vier Quadratmetern unter ein paar Decken dicht beieinander lagen, um sich gegenseitig zu wärmen – menschenunwürdige Verhältnisse, angesichts derer die Einschätzung der Gerichte, in Kabul könne ein Rückkehrer durch die ausländische Hilfe seine Existenz sichern, als reine Ironie erscheint.